Interview mit Louise Schneider
Louise Schneider hatte mich gewarnt: Alle Akademiker nehmen den falschen Weg! So ist es auch mir nicht besser gegangen und ich gelange über ein Feld auf einem Fussweg zu einem alleinstehend Häuschen. Louise duzt mich zur Begrüssung. Sie ist eine rüstige Person und geht doch bald gegen die die Hunderti. Wir sitzen gemütlich bei einer Tasse Tee, es kann losgehen ... Du bist in Neuenegg aufgewachsen? Weiter hinten, auf dem Bramberg. Damals hatte jeder Weiler sein Schulhaus für die 1. bis 4. Klasse. Ueber die freiburger Seite sagte man damals: Dort sei auch das Brunnenwasser noch katholisch. Aber meine Eltern waren offenherzige Leute. Deine Eltern waren in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Mein Vater war als Verdingkind immer an allem schuld. Er arbeitete als Knecht und stieg dann auf zum Fabrikarbeiter bei Wander. Leider war er in jungen Jahren sehr krank, sodass die Ärzte keinen Rat mehr wussten. Um zu überleben eignete er sich das Wissen über die Heilkräuter an. Und die Mutter? ... arbeitet als Magd bei vornehmen Leuten. Sie wurde so sehr geschätzt, dass man sie weiter empfahl bis in die besten Gesellschaften als Gouvernante. Selber lebte sie aber stets sehr einfach. Viel später kam dann einmal ein sehr gut angezogener junger Mann bei uns vorbei und erkundigte sich mit dem ledigen Namen nach meiner Mutter. In herzlicher Dankbarkeit hat der junge Mann meine Mutter fest umarmt: Sie hatte die Kinder, für die sie verantwortlich war, einfach lieb gehabt. Du gingst also auf dem Bramberg zur Schule? Vier Primarschul-Jahre lang – alle in einer Schulstube. Ich war sehr wissensbegierig und begriff den ganzen Schulstoff schon nach zwei Jahren. Meine Lehrerin gab mir Zusatzaufgaben und ich half dafür bei den Kleinen. Es gab viele vernachlässigte Kinder, und ich half gerne. Welche Rolle spielte der Glaube für dich? Ich durfte zur Sonntagsschule, auch wenn meine Eltern kritisch gegenüber der Kirche waren (Ich sag dann noch etwas dazu.). Ich habe die biblischen Geschichten wie ein Schwamm aufgesogen. Ich wusste schon damals, dass sich Jesus für Arne einsetzt. Merkwürdig heute, dass ich bedauerte, dass wir nicht noch ärmer waren. Ich empfand einfach Solidarität. Warum waren deine Eltern der Kirche gegenüber kritisch? Nehmen wir zum Beispiel den Konfirmandenbesuch. Wir sassen mit dem Pfarrer am Küchentisch. Dann fragte er mich: Und Louise, was machst du nach der Schule? Ich antwortete: Ich möchte ins Gymnasium. Dann sagte der Pfarrer barsch: Das ist nichts für Leute wie du. Meine Eltern waren so enttäuscht, dass sie den Raum verlassen haben, nicht laut. Es war unerträglich. Dem Pfarrer blieb nichts anderes übrig, als zu gehen. Und was geschah mit dir? Ich war sehr betrübt und geriet später dann in eine tiefe Krise. Ich hab mit Schmerzmitteln meinem Leben ein Ende setzten wollen. Aber dann meldete sich etwas ganz anderes in mir: Louise, sagte ich zu mir, jetzt kämpfst du selber für dich! Und hat das geklappt? Ich habe mir selber eine Stelle im Welschland gesucht, und dann eine Lehrstelle in der Verwaltung. Aber ich musste Lehrgeld, Kost und Logis zahlen und wir hatten doch nichts. Also schrieb ich dem Arbeitgeber meines Vaters, der Firma Wander und bat um ein zinsloses Darlehen. Ohne Wissen des Vaters? Er wurde natürlich zum Direktor zitiert. Aber das Wunder geschah und wir erhielten die Zusage. Mit dem bitteren Nachgeschmack, dass man meinem Vater drohte, falls das Geld nicht pünktlich zurückbezahlt werde, werde man es ihm vom Lohn abziehen. Natürlich habe ich die 3000 Franken, damals ein Vermögen, zusammengespart. Und wie hast du deinen Mann kennen gelernt? Im Blaukreuz. Er und ich waren in der Kinder- und Jugendarbeit aktiv. Wir leiteten Nachmittage und die Kinder kamen in Scharen. Unser Programm war ähnlich wie in der Sonntagschule. In den Lagern ging es sehr einfach zu: Wir hatten eine Militärbaracke zur Verfügung und schliefen auf Strohsäcken. Und dein Mann? Er war viel ruhiger als ich. Ich hatte einfach Organisationstalent – es fiel mir immer leicht. Später arbeitete ich im Inselspital. An einem Freitag wurde ich zum Direktor zitiert. Wir brauchen jemand, der sich um die Probleme der Angestellten kümmert: Sie können das! Und am Montag hatte ich diese ganz neue Aufgabe. |
Wie kamst du zu deinem politischen Engagement?
Nur um klarzustellen: Ich war in einer Partei, aber das ging nicht gut, ich bin wieder ausgetreten. Ich konnte mich nicht mit allem identifizieren. Wir hatten einen Kreis in Zürich, da fühlten wir uns zuhause: bei die religiösen Sozialisten. Hier kam Christsein und soziales Engagement zusammen. Was geschah eigentlich auf dem Bundesplatz? Auf einem Bretterzaun war zu lesen: Niemand ist illegal. Ich beobachtete zufällig, wie Leute sich an die Arbeit machten, die gesprayte Aussage weiss zu übermalen. Ich folgte meinem Impuls und rief: Nicht einmal dieser Satz darf stehenbleiben! Das hat dich nicht in Ruhe gelassen? Wenn man denkt, was die Folgen des Waffenhandels sind! Ich probte in meinem Garten auf Leintüchern das Sprayen. Ich konnte es nicht gut, weil mir die Kraft in den Fingern der rechten Hand fehlt. Ich habe nur mit wasserlöslicher Farbe gesprayt, ich wollte ja keinen Schaden anrichten. Und dann? ... hat ein Polizist mich fest genommen. Ich glaube, es war ihm nicht recht. Er hat mich irgendwo in einen Keller in eine Zelle gebracht. Dann hat er telefoniert und gefragt, ob man mich jetzt anzeigt. Aber niemand wollte mich anzeigen. Sie haben genau gewusst, dass sie sich lächerlich machen würden. Aber der Polizist hat immer wieder telefoniert und gefragt, was er mit der älteren Damen machen solle, er könne sie doch nicht länger festhalten. Und irgendwann wurde es ihm zu bunt und er liess mich laufen. Du wurdest schweizweit bekannt, oder? Das Foto verbreitete sich in den sozialen Netzwerken. Stunden später ruft mich eine Enkelin (oder Urenkelin?) an aus New York: Grosi was machst du? Sie fand die Aktion grandios. Die Bilder gingen um die halbe Welt – aber das ist mir nicht so wichtig. Ich komme nämlich gut aus mit der Polizei (sie zeigt mir eine Guezlischachtel) die haben sie mir nachher vorbeigebracht. Ist dir noch etwas wichtig? Ich würde gerne sterben, wenn du da ein Wort für mich einlegen kannst. Wir haben über sehr viel geredet und ich verabschiede mich. Ich wollte das Gespräch aufnehmen, aber meine Technik hat versagt. Zuhause merke ich, dass die Aufnahme nichts wert ist. Also schreibe ich aus dem Gedächtnis, auch wenn dann nicht alles wortwörtlich ist ... |